24.04.2023
Rückblick auf die Vollversammlung der Lebenshilfe
Dachverband Mitgliedsorganisationen
Am 21. April fand im Bozner NOI Techpark die heurige, von Julian Messner, Künstler in der Kunstwerkstatt Akzent in Bruneck, moderierte Mitgliederversammlung der Lebenshilfe statt. Neben zahlreichen Mitgliedern, Freunden und Unterstützern nahmen auch Landeshauptmann Arno Kompatscher, Landesrätin Waltraud Deeg, Landesrat Philipp Achammer und Landesrat Massimo Bessone an der Veranstaltung teil.
Präsident Hans Widmann bedankte sich in seiner Eröffnungsansprache bei der Landesregierung für die gute Zusammenarbeit, gab aber auch zu bedenken, dass es im Sozialen allgemein und im Bereich Menschen mit Beeinträchtigung im Besonderen weiterhin noch einiges zu tun und zu verbessern gibt. „Was im Zusammenhang mit dem Teilhabegesetz“, so Hans Widmann, „besonders forciert werden muss, ist die Eingliederung unserer Mitbürger/innen mit Beeinträchtigung in die Arbeitswelt. Wenn die Landesregierung neue Initiativen startet, ist dies sehr zu begrüßen, aber auch die Privatwirtschaft muss sich vermehrt öffnen und verpflichtet fühlen. Eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass diese Inklusion gelingt, ist eine flächendeckend präsente Arbeitsassistenz.“ Bezug nahm Hans Widmann auch auf die gesamtgesellschaftliche Situation: „Wir erleben einen besorgniserregenden Anstieg der Armut. Die letzten schweren Brocken waren die weit überhöhten Energiekosten und die Inflation. Schwer wiegen auch die seit Langem weit verbreiteten niedrigen Löhne und Gehälter. Die Landespolitik muss dafür sorgen, dass gerechte Umverteilungsprozesse in Gang gesetzt werden, vor allem bei jenen, die bis heute nicht teilen wollen.“ In einem kurzen Rückblick auf die wichtigsten neuen Entwicklungen innerhalb der Lebenshilfe erwähnte Hans Widmann, stellvertretend für eine Reihe von Beispielen, die Erfolge des Hotel Masatsch, jene im Bereich der Wohnangebote und die jährlich wachsende Selbstvertretung in Gestalt der Gruppe People First.
Den Thementeil der Mitgliederversammlung gestalteten Autismus-Experte Manuel Kiesswetter und Autismus-Expertin Hildegard Kaiser. Die beiden Mitarbeiter/innen stellten die wichtigsten Formen und Aspekte der Betreuung von Menschen mit Autismus-Spektrum-Störungen sowie die Tagesstätte in Bruneck vor, die kürzlich ihr 30-jähriges Bestehen gefeiert hatte.
Weite Teile der Mitgliederversammlung wurden in Leichte Sprache simultanübersetzt. Helga Mock bestritt die Übersetzung in die deutsche, Maddalena Costa jene in die italienische Sprache. Die beiden Übersetzerinnen sind Angestellte der Lebenshilfe und arbeiten dort im Büro für Leichte Sprache OKAY. Keiner Übersetzung in die deutsche Leichte Sprache bedurfte der Tätigkeitsbericht 2022, der von Geschäftsleiter Wolfgang Obwexer zusammengestellt und von Sabrina Siemons, ebenso Mitarbeiterin im Büro OKAY, in Leichter Sprache vorgetragen wurde.
Der zweite Teil der Mitgliederversammlung stand ganz im Zeichen der Wahlen des neuen Vorstands. In diesen wurden folgende Personen gewählt (in alphabetischer Reihenfolge): Irene Ausserbrunner, Josef Gottardi, Armin Reinstadler, Roland Schroffenegger und Martin Zingerle. Vera Hofer und Katrin Hofer wurden als Rechnungsprüferinnen bestätigt. Nicht der Wahl zum Vorstand brauchten sich die Präsident/inn/en der Bezirke bzw. der Präsident der Selbstvertretungsgruppe People First zu stellen, da sie dank ihres Amtes automatisch Teil des neuen Vorstands sein werden. Es handelt sich dabei um die folgenden 7 Personen: Meinhard Oberhauser (Wipptal), Rosa Hofer (Eisacktal), Josef Mahlknecht (Pustertal), Claudia Thayer (Schlerngebiet), Theresia Rottensteiner (Unterland), Andreas Tschurtschenthaler (Vinschgau) und Jochen Tutzer (People First). Die konstituierende Sitzung des neuen Vorstands wird am 5. Mai stattfinden. An diesem Tag wird der Vorstand den/die neue/n Präsidenten/Präsidentin ernennen und eventuell weitere Personen kooptieren.
Südtiroler Lebenshilfe
Der Abschluss der Mitgliederversammlung stand ganz im Zeichen der Verabschiedung von Hans Widmann, der nach 9-jähriger Präsidentschaft sein Amt niederlegte. „Ich habe in meinem Leben“, so Hans Widmann, „in drei Bereichen Erfahrungen gesammelt. In der Gewerkschaft, in der Politik und bei der Lebenshilfe. Jedes Mal ging es um sozialpolitische Auseinandersetzungen und um sozialpolitische Erfolge. Jedes Mal habe ich großartige Menschen, Mitstreiter/innen und Freunde gefunden, und jedes Mal habe ich erlebt, dass es unbedingt notwendig ist, sich sozial zu engagieren, und dass sich das auch wirklich lohnt.“
Die Begrüßungsansprache des Präsidenten Hans Widmann anlässlich der Mitgliederversammlung der Lebenshilfe am 21. April
Eigentlich brachten wir mit 2022 ein fast normales Tätigkeitsjahr hinter uns. Mehr oder weniger konnten wir alle unsere Dienstleistungen anbieten. Einen gehörigen Strich durch die Rechnung machten uns allerdings die Energiekosten und der Personalmangel. Ärgerlich dabei ist, dass die Energiekosten nicht nur dem Krieg in der Ukraine geschuldet sind, sondern auch skrupellosen Spekulanten und allmächtigen Konzernen, gegen die die Politik anscheinend machtlos ist. Der Personalmangel ist im sozialen und im Gesundheitsbereich nicht nur den Wirrungen der Pandemie, sondern auch einer verfehlten Personalpolitik geschuldet. Nach der sozialpolitisch erfolgreichen Ära des hochverdienten Landesrats Otto Saurer und mit der Regierungszeit von Ministerpräsident Mario Monti (Ende 2011 bis Mitte 2013) begann man, beim Personal im öffentlichen Bereich zahlenmäßig und lohnpolitisch gnadenlos zu sparen, bis heute, mit den dramatischen Folgen, die sich seither und besonders seit der Pandemie auf alle gesellschaftlichen Bereiche auswirken und besonders wieder den gesamten sozialen und gesundheitlichen Bereich treffen. Dass es zum Beispiel für Notfälle keine Betreuungsplätze und zu wenig Personal gibt, ist im so genannten reichen Südtirol schlichtweg ein Skandal!
Auf einem Bezirkstreffen der Lebenshilfe thematisierten wir erstmals ausdrücklich die Frage der Nachhaltigkeit. Mit Blick auf das Jahr 2030 will die Lebenshilfe alles daransetzen, um das Ihre gegen die globale Gefährdung durch den Klimawandel beizutragen.
Südtiroler Lebenshilfe
Unterstreichen möchte ich auch die gute Zusammenarbeit mit anderen wesensverwandten privaten sozialen Vereinigungen. Dem Einsatz des Dachverbands für Soziales & Gesundheit verdanken wir sehr wesentlich, dass sowohl der Landessozialbeirat wieder eingesetzt wurde und auch am Landessozialplan intensiv weitergearbeitet wird.
Unser Vorzeigeprojekt Hotel Masatsch hat sich seit seiner Wiedereröffnung 2021 wieder gut entwickelt. Abgesehen von der guten Buchungslage benützen andere soziale Organisationen unsere Seminarräume und unser Restaurant und ganz besonders auch unser Schwimmbad.
Auch mit unserem Projekt zur Umsetzung des staatlichen Gesetzes „Dopo di noi“ kommen wir weiter, vornehmlich mit großer Unterstützung der Stiftung Südtiroler Sparkasse und gemeinsam mit anderen Vereinigungen.
Eine besondere Erwähnung verdient immer auch unsere Selbstvertretungsgruppe People First. Sie entwickeln viele Ideen, nehmen Initiativen in Angriff, pflegen internationale Kontakte, gestalten Radiosendungen und regten auch für die heurigen Landtagswahlen wieder eine Informationsbroschüre an, wobei sie diesmal tatkräftig vom Landtag unterstützt werden. Sie beweisen tagtäglich, dass auch Menschen mit Lernschwierigkeiten ihre Interessen selbst vertreten können, wenn sie die nötige Unterstützung erfahren, die ja alle anderen auch brauchen!
Was im Zusammenhang mit dem Teilhabegesetz aus dem Jahre 2015 besonders forciert werden muss, ist die Eingliederung unserer Mitbürger/innen mit Beeinträchtigung in den Arbeitsmarkt, in die Arbeitswelt. Wenn jetzt die Landesregierung eine neue Initiative im öffentlichen Dienst startet, ist das sehr zu begrüßen. Aber auch die Privatwirtschaft muss sich vermehrt öffnen und verpflichtet fühlen. Auch wenn dort oft Produktivitätsstress herrscht, darf dies keine Ausrede sein. Es muss möglich sein, mit den Sozialpartnern Mittel und Wege zu finden, Menschen mit Beeinträchtigung einzubeziehen. Eine wesentliche Voraussetzung, dass dies zum Erfolg führt, ist eine flächendeckend präsente Arbeitsassistenz, die ermöglicht werden muss, hoffentlich auch gemeinsam mit der Lebenshilfe.
Was wir immer noch anmahnen müssen, ist die Aufwertung der privaten sozialen Vereine und ihrer Arbeit. Ihre Fähigkeit einer zielgerichteten Flexibilität ist dazu prädestiniert, viele neue Initiativen für mehr Inklusion umsetzen zu können. Man muss ihnen mehr Vertrauen schenken und die empfohlene Subsidiarität auch ernst nehmen.
Nach diesen neuerlichen Empfehlungen an die Landespolitik darf ich der Landesregierung auch danken. Wir haben uns in den letzten Jahren nicht gescheut, laut und deutlich, aber auch in vielen persönlichen Gesprächen, unsere Anliegen darzulegen. Wir sind durchaus auch hartnäckig! Steter Tropfen höhlt den Stein. Die laute und oft auch penetrante Art, wie die Wirtschaftslobbys ihre Interessen vertreten, muss auch die gesamte soziale Komponente unserer Gesellschaft aufrütteln, ihre Lautstärke aufzudrehen und alles zu unternehmen, damit sie nicht unter die Räder kommt, sondern vielmehr zu einer sozialen Macht wird. Sanfte Töne werden im schrillen Konzert nicht wahrgenommen.
Wir brauchen zwar oft einen sehr langen Atem, aber wir kommen immer wieder Schritte weiter. Landeshauptmann Arno Kompatscher hat uns auf seinem Radar und ist öfters unsere letzte Rettung, Landesrätin Waltraud Deeg, Landesrat Philipp Achammer und Landesrat Massimo Bessone haben uns bei verschiedenen Anliegen über die Runden geholfen, so dass wir in der Lage waren, einige Vorhaben zu verwirklichen, wenn auch noch nicht alle Zusagen Wirklichkeit geworden sind. Wir begrüßen auch das neue Sozialzentrum in Toblach und den Schub bei der Pflegeeinstufung sowie die Absichten des Landeshauptmanns bezüglich Ausbildungsförderung im Gesundheitswesen. Wir bedanken uns bei der Landesregierung für die verschiedenen Hilfestellungen und für die neuen Akzente. Danken dürfen wir auch jener Opposition im Landtag, die oftmals Interesse für unsere Anliegen zeigt und entsprechende Initiativen startet.
Eine gute Zusammenarbeit entwickelte sich auch mit den Bezirksgemeinschaften bzw. ihren jeweiligen Sozialdiensten. Wir konnten auch mit ihnen wichtige Projekte in Angriff nehmen und verwirklichen. Schließlich arbeiten wir alle für die sozial Schwächeren unserer Gesellschaft und sind diesen verpflichtet. An dieser Stelle dürfen wir auch den Gemeinden Kaltern und Eppan für ihre Unterstützung des Hotel Masatsch danken. Bedanken dürfen wir uns ganz besonders auch bei den Unterstützern Stiftung Südtiroler Sparkasse, Alperia, ITAS-Versicherungen, Raika Überetsch und Raiffeisenverband, bei der Initiative „Südtirol hilft“, bei der Matrikelstiftung Tirol und bei allen anderen Spendern, die hin und wieder an die Lebenshilfe und deren Betreuungsauftrag denken.
Danken darf ich vor allem auch unseren vielen hauptamtlichen, ehrenamtlichen Mitarbeitern/inne/n auf allen Ebenen und den vielen Freiwilligen. Alle arbeiten nicht nur, sie setzen sich engagiert in ihren Arbeitsbereichen ein. Ihnen ist die Arbeit in der Lebenshilfe für Menschen mit Beeinträchtigung ein echtes Anliegen. Einen besonderen Dank möchte ich unserem Geschäftsleiter Wolfgang Obwexer ausrichten. Mit seiner sozialpolitischen Überzeugung, mit seinem Fachwissen, mit seinen menschlichen Qualitäten steuert er die Lebenshilfe seit Jahrzehnten zu Erfolgen und meistert Schwierigkeiten. Wenn die Lebenshilfe heute als Sozialverband mit Kompetenz bekannt und anerkannt ist, ist es ganz wesentlich sein Verdienst und der seines Kernteams.
Die Lebenshilfe ist nicht nur ein in sich gekehrter sozialer Verband. Wir denken immer auch an das Ganze! Wir machen uns Sorgen um die gesellschaftliche Entwicklung, die sich mehr und mehr zuspitzt. Das reiche Land Südtirol gibt es nicht mehr, es gibt ein gespaltenes, ein „einseitig reiches Land Südtirol“. Wir erleben einen besorgniserregenden Anstieg der Armut. Die letzten schweren Brocken waren die weit überhöhten Energiekosten und die Inflation, angetrieben von diesen und den hohen Lebensmittelpreisen, und nicht nur ausgehend vom Krieg in der Ukraine. Viel schwerwiegender sind jedoch die seit Langem weit verbreiteten niedrigen Löhne und Gehälter. Hier hat die Umverteilung des gemeinsam erwirtschafteten Reichtums nicht gegriffen. Es kann nicht sein, dass ein Monatslohn (von 173 Stunden) nicht ausreicht, würdig mit der Familie über die Runden zu kommen. Es kann auch nicht sein, dass Hungerlöhne mit öffentlichen Mitteln ausgeglichen werden müssen. Diese Hilfe kann nur vorübergehenden Charakter haben. Die Landespolitik muss deshalb dafür sorgen, dass diesbezüglich ein Umverteilungsprozess in Gang gesetzt wird, vor allem bei jenen, die bisher nicht teilen wollen. Wenn wir wollen, dass unsere jungen Leute Familien gründen, müssen wir dafür sorgen, dass sich Arbeit lohnt und dass sie leistbare Wohnungen finden. Ansonsten ist Familie ein hohes Risiko, das sich immer weniger zumuten.
Großes Augenmerk und strenge Kontrolle muss dem sozialen Missbrauch gewidmet werden. Viele echt Bedürftige schämen sich, um Unterstützung anzusuchen, weil sie eine solche Hilfe als gesellschaftliche Abwertung empfinden, während andere schamlos die Hand aufhalten. Die wirklich Bedürftigen fühlen sich als Bittsteller oder werden manchmal auch als solche behandelt. Ihnen sei gesagt, dass Sozialleistungen ein Rechtsanspruch und keine Almosen sind! Lasst euch helfen!
Diese Entwicklung gefährdet den sozialen Frieden. In Armut abgedriftete Menschen, Minderbemittelte, sich ausgegrenzt und vergessen fühlende Menschen zweifeln an der aktuellen Gesellschaftsordnung und empfinden sie als Unordnung und als Quelle extremer Unsicherheit. Es stellt sich für diese Mitbürger/innen die sehr konkrete Frage, wie und wo sie sich, wenn überhaupt, politisch einreihen sollen und können. Wohl kaum an der Seite derer und mit jenen, die bisher mit ihnen ganz und gar nicht solidarisch waren.
Damit Südtirol wieder zu einer echten Wohlfühlheimat wird, in der sich alle eingebunden und gut behandelt fühlen, muss sich die Landespolitik mit der Zivilgesellschaft auf zwei große Zielsetzungen einigen: auf soziale Gerechtigkeit (Chancengerechtigkeit, Leistungsgerechtigkeit, Bedarfsgerechtigkeit und Generationengerechtigkeit) und auf Nachhaltigkeit. Daran führt kein Weg vorbei!
Zum Schluss noch einige persönliche Bemerkungen. Wie ihr bereits festgestellt habt, stelle ich mich nicht mehr der Wahl zum Vorstand. Ich habe in meinem Leben in drei Bereichen Erfahrungen gesammelt. In der Gewerkschaft, in der Politik und bei der Lebenshilfe. Jedes Mal ging es um sozialpolitische Auseinandersetzungen und um sozialpolitische Erfolge. Jedes Mal habe ich großartige Menschen und Mitstreiter/innen und Freunde gefunden, und jedes Mal habe ich erlebt, dass es unbedingt notwendig ist, sich sozial zu engagieren und dass sich das auch wirklich lohnt. In der Lebenshilfe habe ich fantastische Menschen mit Beeinträchtigung kennen und schätzen gelernt, die trotz ihres Schicksals lustig und humorvoll sind, die ihre Dankbarkeit zeigen und die selbst für sich kämpfen wollen und von denen wir alle etwas lernen können. Dazu kommen viele Freundinnen und Freunde aus dem Kreis der Familienangehörigen, aus dem Mitarbeiterstab und aus den ehrenamtlichen Funktionären sowie aus anderen Vereinen. Es war eine Freude und eine große Genugtuung, mit euch und für euch zu arbeiten und mich für eure Anliegen einzusetzen. Ich bleibe Mitglied der Lebenshilfe und ich bin nicht weg. Ich wünsche der Lebenshilfe und euch allen weiterhin viel Erfolg!
Präsident Hans Widmann bedankte sich in seiner Eröffnungsansprache bei der Landesregierung für die gute Zusammenarbeit, gab aber auch zu bedenken, dass es im Sozialen allgemein und im Bereich Menschen mit Beeinträchtigung im Besonderen weiterhin noch einiges zu tun und zu verbessern gibt. „Was im Zusammenhang mit dem Teilhabegesetz“, so Hans Widmann, „besonders forciert werden muss, ist die Eingliederung unserer Mitbürger/innen mit Beeinträchtigung in die Arbeitswelt. Wenn die Landesregierung neue Initiativen startet, ist dies sehr zu begrüßen, aber auch die Privatwirtschaft muss sich vermehrt öffnen und verpflichtet fühlen. Eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass diese Inklusion gelingt, ist eine flächendeckend präsente Arbeitsassistenz.“ Bezug nahm Hans Widmann auch auf die gesamtgesellschaftliche Situation: „Wir erleben einen besorgniserregenden Anstieg der Armut. Die letzten schweren Brocken waren die weit überhöhten Energiekosten und die Inflation. Schwer wiegen auch die seit Langem weit verbreiteten niedrigen Löhne und Gehälter. Die Landespolitik muss dafür sorgen, dass gerechte Umverteilungsprozesse in Gang gesetzt werden, vor allem bei jenen, die bis heute nicht teilen wollen.“ In einem kurzen Rückblick auf die wichtigsten neuen Entwicklungen innerhalb der Lebenshilfe erwähnte Hans Widmann, stellvertretend für eine Reihe von Beispielen, die Erfolge des Hotel Masatsch, jene im Bereich der Wohnangebote und die jährlich wachsende Selbstvertretung in Gestalt der Gruppe People First.
Den Thementeil der Mitgliederversammlung gestalteten Autismus-Experte Manuel Kiesswetter und Autismus-Expertin Hildegard Kaiser. Die beiden Mitarbeiter/innen stellten die wichtigsten Formen und Aspekte der Betreuung von Menschen mit Autismus-Spektrum-Störungen sowie die Tagesstätte in Bruneck vor, die kürzlich ihr 30-jähriges Bestehen gefeiert hatte.
Weite Teile der Mitgliederversammlung wurden in Leichte Sprache simultanübersetzt. Helga Mock bestritt die Übersetzung in die deutsche, Maddalena Costa jene in die italienische Sprache. Die beiden Übersetzerinnen sind Angestellte der Lebenshilfe und arbeiten dort im Büro für Leichte Sprache OKAY. Keiner Übersetzung in die deutsche Leichte Sprache bedurfte der Tätigkeitsbericht 2022, der von Geschäftsleiter Wolfgang Obwexer zusammengestellt und von Sabrina Siemons, ebenso Mitarbeiterin im Büro OKAY, in Leichter Sprache vorgetragen wurde.
Der zweite Teil der Mitgliederversammlung stand ganz im Zeichen der Wahlen des neuen Vorstands. In diesen wurden folgende Personen gewählt (in alphabetischer Reihenfolge): Irene Ausserbrunner, Josef Gottardi, Armin Reinstadler, Roland Schroffenegger und Martin Zingerle. Vera Hofer und Katrin Hofer wurden als Rechnungsprüferinnen bestätigt. Nicht der Wahl zum Vorstand brauchten sich die Präsident/inn/en der Bezirke bzw. der Präsident der Selbstvertretungsgruppe People First zu stellen, da sie dank ihres Amtes automatisch Teil des neuen Vorstands sein werden. Es handelt sich dabei um die folgenden 7 Personen: Meinhard Oberhauser (Wipptal), Rosa Hofer (Eisacktal), Josef Mahlknecht (Pustertal), Claudia Thayer (Schlerngebiet), Theresia Rottensteiner (Unterland), Andreas Tschurtschenthaler (Vinschgau) und Jochen Tutzer (People First). Die konstituierende Sitzung des neuen Vorstands wird am 5. Mai stattfinden. An diesem Tag wird der Vorstand den/die neue/n Präsidenten/Präsidentin ernennen und eventuell weitere Personen kooptieren.
Südtiroler Lebenshilfe
Der Abschluss der Mitgliederversammlung stand ganz im Zeichen der Verabschiedung von Hans Widmann, der nach 9-jähriger Präsidentschaft sein Amt niederlegte. „Ich habe in meinem Leben“, so Hans Widmann, „in drei Bereichen Erfahrungen gesammelt. In der Gewerkschaft, in der Politik und bei der Lebenshilfe. Jedes Mal ging es um sozialpolitische Auseinandersetzungen und um sozialpolitische Erfolge. Jedes Mal habe ich großartige Menschen, Mitstreiter/innen und Freunde gefunden, und jedes Mal habe ich erlebt, dass es unbedingt notwendig ist, sich sozial zu engagieren, und dass sich das auch wirklich lohnt.“
Die Begrüßungsansprache des Präsidenten Hans Widmann anlässlich der Mitgliederversammlung der Lebenshilfe am 21. April
Eigentlich brachten wir mit 2022 ein fast normales Tätigkeitsjahr hinter uns. Mehr oder weniger konnten wir alle unsere Dienstleistungen anbieten. Einen gehörigen Strich durch die Rechnung machten uns allerdings die Energiekosten und der Personalmangel. Ärgerlich dabei ist, dass die Energiekosten nicht nur dem Krieg in der Ukraine geschuldet sind, sondern auch skrupellosen Spekulanten und allmächtigen Konzernen, gegen die die Politik anscheinend machtlos ist. Der Personalmangel ist im sozialen und im Gesundheitsbereich nicht nur den Wirrungen der Pandemie, sondern auch einer verfehlten Personalpolitik geschuldet. Nach der sozialpolitisch erfolgreichen Ära des hochverdienten Landesrats Otto Saurer und mit der Regierungszeit von Ministerpräsident Mario Monti (Ende 2011 bis Mitte 2013) begann man, beim Personal im öffentlichen Bereich zahlenmäßig und lohnpolitisch gnadenlos zu sparen, bis heute, mit den dramatischen Folgen, die sich seither und besonders seit der Pandemie auf alle gesellschaftlichen Bereiche auswirken und besonders wieder den gesamten sozialen und gesundheitlichen Bereich treffen. Dass es zum Beispiel für Notfälle keine Betreuungsplätze und zu wenig Personal gibt, ist im so genannten reichen Südtirol schlichtweg ein Skandal!
Auf einem Bezirkstreffen der Lebenshilfe thematisierten wir erstmals ausdrücklich die Frage der Nachhaltigkeit. Mit Blick auf das Jahr 2030 will die Lebenshilfe alles daransetzen, um das Ihre gegen die globale Gefährdung durch den Klimawandel beizutragen.
Südtiroler Lebenshilfe
Unterstreichen möchte ich auch die gute Zusammenarbeit mit anderen wesensverwandten privaten sozialen Vereinigungen. Dem Einsatz des Dachverbands für Soziales & Gesundheit verdanken wir sehr wesentlich, dass sowohl der Landessozialbeirat wieder eingesetzt wurde und auch am Landessozialplan intensiv weitergearbeitet wird.
Unser Vorzeigeprojekt Hotel Masatsch hat sich seit seiner Wiedereröffnung 2021 wieder gut entwickelt. Abgesehen von der guten Buchungslage benützen andere soziale Organisationen unsere Seminarräume und unser Restaurant und ganz besonders auch unser Schwimmbad.
Auch mit unserem Projekt zur Umsetzung des staatlichen Gesetzes „Dopo di noi“ kommen wir weiter, vornehmlich mit großer Unterstützung der Stiftung Südtiroler Sparkasse und gemeinsam mit anderen Vereinigungen.
Eine besondere Erwähnung verdient immer auch unsere Selbstvertretungsgruppe People First. Sie entwickeln viele Ideen, nehmen Initiativen in Angriff, pflegen internationale Kontakte, gestalten Radiosendungen und regten auch für die heurigen Landtagswahlen wieder eine Informationsbroschüre an, wobei sie diesmal tatkräftig vom Landtag unterstützt werden. Sie beweisen tagtäglich, dass auch Menschen mit Lernschwierigkeiten ihre Interessen selbst vertreten können, wenn sie die nötige Unterstützung erfahren, die ja alle anderen auch brauchen!
Was im Zusammenhang mit dem Teilhabegesetz aus dem Jahre 2015 besonders forciert werden muss, ist die Eingliederung unserer Mitbürger/innen mit Beeinträchtigung in den Arbeitsmarkt, in die Arbeitswelt. Wenn jetzt die Landesregierung eine neue Initiative im öffentlichen Dienst startet, ist das sehr zu begrüßen. Aber auch die Privatwirtschaft muss sich vermehrt öffnen und verpflichtet fühlen. Auch wenn dort oft Produktivitätsstress herrscht, darf dies keine Ausrede sein. Es muss möglich sein, mit den Sozialpartnern Mittel und Wege zu finden, Menschen mit Beeinträchtigung einzubeziehen. Eine wesentliche Voraussetzung, dass dies zum Erfolg führt, ist eine flächendeckend präsente Arbeitsassistenz, die ermöglicht werden muss, hoffentlich auch gemeinsam mit der Lebenshilfe.
Was wir immer noch anmahnen müssen, ist die Aufwertung der privaten sozialen Vereine und ihrer Arbeit. Ihre Fähigkeit einer zielgerichteten Flexibilität ist dazu prädestiniert, viele neue Initiativen für mehr Inklusion umsetzen zu können. Man muss ihnen mehr Vertrauen schenken und die empfohlene Subsidiarität auch ernst nehmen.
Nach diesen neuerlichen Empfehlungen an die Landespolitik darf ich der Landesregierung auch danken. Wir haben uns in den letzten Jahren nicht gescheut, laut und deutlich, aber auch in vielen persönlichen Gesprächen, unsere Anliegen darzulegen. Wir sind durchaus auch hartnäckig! Steter Tropfen höhlt den Stein. Die laute und oft auch penetrante Art, wie die Wirtschaftslobbys ihre Interessen vertreten, muss auch die gesamte soziale Komponente unserer Gesellschaft aufrütteln, ihre Lautstärke aufzudrehen und alles zu unternehmen, damit sie nicht unter die Räder kommt, sondern vielmehr zu einer sozialen Macht wird. Sanfte Töne werden im schrillen Konzert nicht wahrgenommen.
Wir brauchen zwar oft einen sehr langen Atem, aber wir kommen immer wieder Schritte weiter. Landeshauptmann Arno Kompatscher hat uns auf seinem Radar und ist öfters unsere letzte Rettung, Landesrätin Waltraud Deeg, Landesrat Philipp Achammer und Landesrat Massimo Bessone haben uns bei verschiedenen Anliegen über die Runden geholfen, so dass wir in der Lage waren, einige Vorhaben zu verwirklichen, wenn auch noch nicht alle Zusagen Wirklichkeit geworden sind. Wir begrüßen auch das neue Sozialzentrum in Toblach und den Schub bei der Pflegeeinstufung sowie die Absichten des Landeshauptmanns bezüglich Ausbildungsförderung im Gesundheitswesen. Wir bedanken uns bei der Landesregierung für die verschiedenen Hilfestellungen und für die neuen Akzente. Danken dürfen wir auch jener Opposition im Landtag, die oftmals Interesse für unsere Anliegen zeigt und entsprechende Initiativen startet.
Eine gute Zusammenarbeit entwickelte sich auch mit den Bezirksgemeinschaften bzw. ihren jeweiligen Sozialdiensten. Wir konnten auch mit ihnen wichtige Projekte in Angriff nehmen und verwirklichen. Schließlich arbeiten wir alle für die sozial Schwächeren unserer Gesellschaft und sind diesen verpflichtet. An dieser Stelle dürfen wir auch den Gemeinden Kaltern und Eppan für ihre Unterstützung des Hotel Masatsch danken. Bedanken dürfen wir uns ganz besonders auch bei den Unterstützern Stiftung Südtiroler Sparkasse, Alperia, ITAS-Versicherungen, Raika Überetsch und Raiffeisenverband, bei der Initiative „Südtirol hilft“, bei der Matrikelstiftung Tirol und bei allen anderen Spendern, die hin und wieder an die Lebenshilfe und deren Betreuungsauftrag denken.
Danken darf ich vor allem auch unseren vielen hauptamtlichen, ehrenamtlichen Mitarbeitern/inne/n auf allen Ebenen und den vielen Freiwilligen. Alle arbeiten nicht nur, sie setzen sich engagiert in ihren Arbeitsbereichen ein. Ihnen ist die Arbeit in der Lebenshilfe für Menschen mit Beeinträchtigung ein echtes Anliegen. Einen besonderen Dank möchte ich unserem Geschäftsleiter Wolfgang Obwexer ausrichten. Mit seiner sozialpolitischen Überzeugung, mit seinem Fachwissen, mit seinen menschlichen Qualitäten steuert er die Lebenshilfe seit Jahrzehnten zu Erfolgen und meistert Schwierigkeiten. Wenn die Lebenshilfe heute als Sozialverband mit Kompetenz bekannt und anerkannt ist, ist es ganz wesentlich sein Verdienst und der seines Kernteams.
Die Lebenshilfe ist nicht nur ein in sich gekehrter sozialer Verband. Wir denken immer auch an das Ganze! Wir machen uns Sorgen um die gesellschaftliche Entwicklung, die sich mehr und mehr zuspitzt. Das reiche Land Südtirol gibt es nicht mehr, es gibt ein gespaltenes, ein „einseitig reiches Land Südtirol“. Wir erleben einen besorgniserregenden Anstieg der Armut. Die letzten schweren Brocken waren die weit überhöhten Energiekosten und die Inflation, angetrieben von diesen und den hohen Lebensmittelpreisen, und nicht nur ausgehend vom Krieg in der Ukraine. Viel schwerwiegender sind jedoch die seit Langem weit verbreiteten niedrigen Löhne und Gehälter. Hier hat die Umverteilung des gemeinsam erwirtschafteten Reichtums nicht gegriffen. Es kann nicht sein, dass ein Monatslohn (von 173 Stunden) nicht ausreicht, würdig mit der Familie über die Runden zu kommen. Es kann auch nicht sein, dass Hungerlöhne mit öffentlichen Mitteln ausgeglichen werden müssen. Diese Hilfe kann nur vorübergehenden Charakter haben. Die Landespolitik muss deshalb dafür sorgen, dass diesbezüglich ein Umverteilungsprozess in Gang gesetzt wird, vor allem bei jenen, die bisher nicht teilen wollen. Wenn wir wollen, dass unsere jungen Leute Familien gründen, müssen wir dafür sorgen, dass sich Arbeit lohnt und dass sie leistbare Wohnungen finden. Ansonsten ist Familie ein hohes Risiko, das sich immer weniger zumuten.
Großes Augenmerk und strenge Kontrolle muss dem sozialen Missbrauch gewidmet werden. Viele echt Bedürftige schämen sich, um Unterstützung anzusuchen, weil sie eine solche Hilfe als gesellschaftliche Abwertung empfinden, während andere schamlos die Hand aufhalten. Die wirklich Bedürftigen fühlen sich als Bittsteller oder werden manchmal auch als solche behandelt. Ihnen sei gesagt, dass Sozialleistungen ein Rechtsanspruch und keine Almosen sind! Lasst euch helfen!
Diese Entwicklung gefährdet den sozialen Frieden. In Armut abgedriftete Menschen, Minderbemittelte, sich ausgegrenzt und vergessen fühlende Menschen zweifeln an der aktuellen Gesellschaftsordnung und empfinden sie als Unordnung und als Quelle extremer Unsicherheit. Es stellt sich für diese Mitbürger/innen die sehr konkrete Frage, wie und wo sie sich, wenn überhaupt, politisch einreihen sollen und können. Wohl kaum an der Seite derer und mit jenen, die bisher mit ihnen ganz und gar nicht solidarisch waren.
Damit Südtirol wieder zu einer echten Wohlfühlheimat wird, in der sich alle eingebunden und gut behandelt fühlen, muss sich die Landespolitik mit der Zivilgesellschaft auf zwei große Zielsetzungen einigen: auf soziale Gerechtigkeit (Chancengerechtigkeit, Leistungsgerechtigkeit, Bedarfsgerechtigkeit und Generationengerechtigkeit) und auf Nachhaltigkeit. Daran führt kein Weg vorbei!
Zum Schluss noch einige persönliche Bemerkungen. Wie ihr bereits festgestellt habt, stelle ich mich nicht mehr der Wahl zum Vorstand. Ich habe in meinem Leben in drei Bereichen Erfahrungen gesammelt. In der Gewerkschaft, in der Politik und bei der Lebenshilfe. Jedes Mal ging es um sozialpolitische Auseinandersetzungen und um sozialpolitische Erfolge. Jedes Mal habe ich großartige Menschen und Mitstreiter/innen und Freunde gefunden, und jedes Mal habe ich erlebt, dass es unbedingt notwendig ist, sich sozial zu engagieren und dass sich das auch wirklich lohnt. In der Lebenshilfe habe ich fantastische Menschen mit Beeinträchtigung kennen und schätzen gelernt, die trotz ihres Schicksals lustig und humorvoll sind, die ihre Dankbarkeit zeigen und die selbst für sich kämpfen wollen und von denen wir alle etwas lernen können. Dazu kommen viele Freundinnen und Freunde aus dem Kreis der Familienangehörigen, aus dem Mitarbeiterstab und aus den ehrenamtlichen Funktionären sowie aus anderen Vereinen. Es war eine Freude und eine große Genugtuung, mit euch und für euch zu arbeiten und mich für eure Anliegen einzusetzen. Ich bleibe Mitglied der Lebenshilfe und ich bin nicht weg. Ich wünsche der Lebenshilfe und euch allen weiterhin viel Erfolg!
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